Der Philanthrop: Jeden Tag eine gute Tat

Eine Welt ohne Armut, Hunger, Unterdrückung und vermeidbare Todesfälle – dank selbstloser Menschen, die sich mit Zeit und Geld bedingungslos für diejenigen einsetzen, die selbst keinen Einfluss auf das Weltgeschehen haben, rücken diese Ziele in greifbare Nähe.

Hintergrund zum Selbstversuch: Der Philanthrop

Meine Leser hatten abgestimmt. Im März 2018 sollte ich als Philanthrop jeden Tag eine gute Tat vollbringen. In diesem Monat wollte ich herausfinden, wie leicht es ist, altruistisch zu handeln, wenn die ehrliche Absicht dafür vorhanden ist. Ich wollte sowohl Zeit und Geld spenden als auch im Alltag Nächstenliebe durch kleine und große Gesten ausdrücken.

Ziele und Regeln für den Selbstversuch:

  • jeden Tag Zeit oder Geld für einen guten Zweck spenden
  • unterstützungswürdige Organisationen finden und vergleichen
  • im Alltag kleine und größere Gesten der Nächstenliebe vorleben
  • täglicher Bericht (auf Facebook) über die gute Tat

 

Die ärmsten 73 Prozent der Weltbevölkerung besaßen im Jahr 2016 lediglich 2,4 Prozent der weltweiten Vermögenswerte. Die reichsten 0,7 Prozent hingegen 45,6 Prozent. Das Ergebnis dieser Schere zwischen Arm und Reich sind Hunger, Flüchtlingswellen und Millionen vermeidbarer Todesopfer.

Eine Umverteilung von Ressourcen – also eine fairere Aufteilung von Geld, Rohstoffen oder Nahrungsmitteln – würde unausweichlich dazu führen, dass Industrieländer relativ gesehen an Bedeutung verlieren. Selbst wenn es keine absoluten Einschnitte geben würde, haben Regierungen und Institutionen deshalb wenig Interesse daran, etwas von ihrem Einfluss abzugeben.

Als Mitteleuropäer gehören die meisten von uns zu den reichsten 10% der Weltbevölkerung. Unsere 2 Euro für den täglichen Coffee To Go überschreiten das Tagesbudget vieler Familien in Zentralafrika. Haben wir da nicht die moralische Verpflichtung und gleichzeitig große Chance, mehr Verantwortung zu übernehmen?

Bevor ich mit meinem Bericht zum Experiment aus dem März 2018 anfange und mit weiteren Zahlen und Gedankenspielen um mich schmeiße, noch zwei ganz wichtige Hinweise:

  1. Ich war in meinem bisherigen Leben kein Wohltäter und möchte mir mit diesem Beitrag weder einen Heiligenschein aufsetzen, noch dir als Leser ein schlechtes Gewissen machen. Wie bei all meinen Selbstversuchen geht es darum, bestehende Sichtweisen zu überdenken.
  2. Auch wenn alle im folgenden Text genannten Statistiken belegt sind, weichen Zahlen je nach Quelle voneinander ab. Ich möchte hier keine Diskussionen um konkrete Daten entfachen, sondern Tendenzen aufzeigen.

 

 

Das Warum: Eine philanthropische Momentaufnahme

Die globale Entwicklung scheint durchaus positiv zu sein. Laut UNICEF hat sich die Zahl von Kindern, die das 5. Lebensjahr nicht überleben, zwischen 1960 und 2000 von 20 auf 10 Millionen halbiert.

Aber so sehr es Grund zum Feiern gibt, so überflüssig sind die meisten der heute immer noch über 15.000 Kinder (5,6 Millionen in 2016), die täglich an vermeidbaren Dingen wie Durchfall, Masern oder mangelnder Ernährung sterben. Zum Vergleich: In Deutschland sterben 7 Kinder pro Tag, bevor sie das 5. Lebensjahr erreichen (2.700 in 2016).

Nehmen wir mal Pocken, die im 20. Jahrhundert über 300 Millionen Menschen weltweit getötet haben. Durch Impfungen konnte der Erreger innerhalb von einem Jahrzehnt komplett ausgerottet werden (seit 1980 gibt es quasi keine Pocken mehr). Ähnlich mit Masern. Durch Anstrengungen der WHO konnten die Todesfälle in Afrika von 60.000 Kindern in 1996 auf 117 in 2000 gesenkt werden. Das alles durch Impfungen, die nicht mehr kosten als ein Becher Kaffee.

Ähnlich einfach könnte Mangelernährung vermieden werden. Über 750 Millionen Tonnen Getreide werden jährlich an Tiere verfüttert, die Menschen in Industrieländern essen (Stand 2007). Wenn dieses Getreide zu gleichen Teilen an alle Menschen in Armut verteilt worden wäre, dann wäre niemand an mangelnder Ernährung gestorben.

Bei einem Gipfel der UN im Jahr 2000 haben sich alle 191 Mitgliedsstaaten auf die Millennium Development Goals geeinigt. Damit sollten bis zum Jahr 2015 unter anderem der Zugang zu Bildung verbessert, die Gleichstellung von Mann und Frau gefördert und die Anzahl der Menschen, die in Armut leben und hungern, halbiert werden.

Die Erreichung dieser Ziele drückt sich in Zahlen wie folgt aus: 500 Millionen Menschen weniger leben in Armut, 300 Millionen weniger hungern, 350 Millionen bekommen Zugang zu sauberem Trinkwasser und 30 Millionen Kleinkinder sowie 2 Millionen Erwachsene überleben vermeidbare Todesfälle.

Zur Erreichung dieser Ziele benötigte man geschätzte 121 – 189 Milliarden USD pro Jahr. Das sind 200 US-Dollar für jeden der 855 Millionen Einwohner von wohlhabenden Ländern in Westeuropa, Nordamerika, Japan und Australien (Stand 2006). Oder anders ausgedrückt: weniger als 50 Cent pro Tag für uns, um Millionen von Menschen in Armut vor Tod, Krankheit und Leid zu bewahren.

Die Bundesregierung feiert sich und die Entwicklungspolitik für diese Erfolge. Wir sind Vorreiter beim Pariser Klimaabkommen und der neuen Agenda 2030 (die Nachfolge der Millenniumsentwicklungsziele), in der sich Mitgliedsstaaten auf die gemeinsame Verfolgung nachhaltiger Ziele geeinigt haben. Aber ganz so verdient sind diese Lorbeeren nicht.

In den letzten fünf Jahrzehnten lebten im Durchschnitt 750 Millionen Menschen in reichen Nationen (als Standard gilt das Durchschnittseinkommen in Portugal als “ärmstes” Land in Westeuropa, Nordamerika, Japan und Australien; heute leben über eine Milliarde Menschen in reichen Nationen). Sie spendeten 2,3 Billionen USD ins Ausland. Das sind pro Jahr 46 Milliarden. Pro Person pro Jahr sind es ungefähr 60 US-Dollar. Das entspricht 0,3% des jährlichen Einkommens.

Nur ein Viertel dieser Hilfe geht an die ärmsten Länder der Welt. Und der Großteil ist an politische oder wirtschaftliche Bedingungen geknüpft, aus denen Industriestaaten einen direkten Nutzen ziehen. Beispielsweise dürfen viele Kondome oder Lebensmittel, die von Regierungsorganisation nach Zentralafrika gespendet werden, nur im Geberland gekauft werden, obwohl diese dort deutlich teurer sind.

Deutschland hat übrigens in 2016 erstmals das Ziel der UN erreicht und 0,7% des BNE für Entwicklungshilfe ausgegeben. Davon fließt jedoch ein großer Teil in die Flüchtlingskosten im Inland (25%) und in Projekte, die an wirtschaftliche Bedingungen geknüpft sind, wodurch Deutschland davon letztendlich mehr profitiert als die Empfängerländer.

Bei meinen Recherchen musste ich immer wieder feststellen, dass statistisch gesehen von Jahr zu Jahr zwar deutlich weniger Menschen unter Armut leiden, sich das Wohlstandsgefälle zwischen den Ländern dabei aber eher vergrößert. Diesen Status quo wollen Philanthropen auf der ganzen Welt ändern.

 

 

Ausreden, die ich mehrmals gehört (und selbst genutzt) habe

Der Nachbar hat gerade einen neuen Porsche gekauft, warum sollen wir dann unser Erspartes spenden? Die Politiker und Banker sind an allem schuld, warum kümmern die sich dann nicht um die Hilfebedürftigen? Erstmal sind die anderen dran.

Mein Gefühl war, dass Spendenbereitschaft in der deutschen Denkweise teilweise negativ behaftet war. Wer etwas gibt, der muss doch eindeutig zu viel Geld oder Zeit haben, was Grund ist, sich dafür zu schämen. Und wer dann spendet, der sollte wenigstens bescheiden genug sein und nicht darüber reden.

Wenn Unternehmen oder Superreiche wie Bill Gates oder Angelina Jolie etwas Gutes tun, dann suchen wir nach versteckten Motiven. Wollen sie Steuern sparen? Ist es ein PR-Stunt für einen neuen Film? Profitiert sein Unternehmen von den Spenden?

Gibt es eine solche Denkweise auch in anderen Ländern? Und überhaupt, spielt es denn eine Rolle, warum geholfen wird? Dem Hilfebedürftigen wird es herzlich egal sein, ob die Hilfe ein selbstloser Akt war oder irgendein Ego befriedigt hat.

Ich denke, wir sollten mehr Verantwortung übernehmen, nicht nur für Menschen in Not, sondern vor allem für uns selbst. Und wenn wir dies tun, dann sollten wir auch darüber sprechen, nicht aus Selbstgefälligkeit, sondern um unser Umfeld zu inspirieren.

In meinem Selbstversuch als Philanthrop habe ich eine ganze Reihe von Argumenten gehört, die mir selbst in der Vergangenheit als Vorwand dienten, um nicht zu unterstützen. Hier meine Top 5, die ich gerne entkräften möchte:

  1. Das Geld kommt nicht vor Ort an: Sicher gibt es schwarze Schafe, die ineffektiv arbeiten oder sogar Gelder veruntreuen. Aber hohe Verwaltungskosten als Grund dafür zu nehmen, gar nichts zu spenden, ist eine verdammt schlechte Ausrede. Das wäre so, wie nie wieder in Restaurants zu essen, weil in einem Laden um die Ecke Ratten in der Küche gefunden wurden.
  2. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll: Das war meine Lieblingsausrede bisher. Und ja, ich habe in meinem Selbstversuch lernen müssen, dass es echt mühsam ist, sich durch die Vielzahl an Hilfsorganisationen zu kämpfen. Genauso wie „ich weiß nicht, wie ich ein Gewerbe anmelde” keine Hürde für die Selbständigkeit ist, sollte uns die Ahnungslosigkeit nicht vom Handeln nach unseren Werten abhalten. Eine ganze Menge Anregungen gibt es in diesem Beitrag.
  3. Allein kann ich eh nichts ändern: Eine 50-Euro-Spende fühlt sich an wie ein Tropfen im großen Ozean, der gefühlt keinen Unterschied macht. Das ist eine abstrakte Denkweise. Zum einen können 50 Euro in Entwicklungsländern zwischen Leben und Tod entscheiden und zum anderen geht es darum, seine eigenen Werte zu leben. Nächstenliebe und Großzügigkeit stecken an. Der eine Tropfen im Ozean wird schneller Wellen schlagen, als du denkst.
  4. Ich habe zu wenig, um zu unterstützen: So wie mit den Sauerstoffmasken im Flugzeug, muss es zuerst uns selbst und unserer Familie gut gehen, bevor wir anderen Menschen vernünftig helfen können. Welches Level an Wohlstand wir dafür benötigen, muss jeder mit sich selbst klären. Scheinheilig ist es jedoch, die Familie als Ausrede für fehlende Spendenbereitschaft zu nutzen.
  5. Es ist einfach nicht genug für alle da: Bis zum Jahr 2050 sollen knapp 10 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Macht es da überhaupt Sinn, über die Umverteilung von Ressourcen nachzudenken, oder bietet unsere Erde nicht genug Platz für alle? Wohlstand und vor allem Bildung sind wohl die beste Lösung, um den starken Geburtenzuwächsen in Entwicklungsländern entgegenzuwirken (der Zusammenhang wurde ausreichend untersucht).

 

Was ist eigentlich Armut und wer ist hilfebedürftig?

Natürlich ist Armut relativ. Aber gilt nur als arm, wer seine Grundbedürfnisse wie Nahrung, Wasser, Kleidung, Unterkunft, Hygiene, medizinische Versorgung und Bildung nicht befriedigen kann? Oder ist auch der arm dran, der sich in Deutschland keinen Fernseher oder das zweite Auto leisten kann?

Erstere Definition für Armut stammt von der Weltbank, die die absolute Armutsgrenze bei 1,90 US-Dollar pro Tag sieht (ca. 46 Euro/Monat). 2015 lebten 700 Millionen Menschen unter dieser Grenze (1990 waren es noch 1,85 Milliarden). Weitere 2 Milliarden Menschen müssen mit weniger als 3,10 US-Dollar pro Tag auskommen.

Arm zu sein bedeutet in Deutschland natürlich etwas anderes, als in Entwicklungsländern. Bei uns gilt als arm, wem weniger als 60% des Durchschnittseinkommens zur Verfügung steht. In Deutschland etwa lag die Armutsgefährdungsgrenze 2015 bei 1.033 Euro (16,7 % der Bevölkerung), die damit also 22 Mal so hoch ist wie die weltweite Armutsgrenze.

In reichen Ländern stirbt weniger als 1 von 100 Kindern bis zum Alter von 5 Jahren. In den ärmsten Ländern sind es 1 von 5 Kindern. Über 5 Millionen Kleinkinder und weitere Millionen Kinder und Erwachsene sterben jedes Jahr an Ursachen wie Durchfall, Masern oder mangelnder Ernährung, die armutsbedingt und in entwickelten Ländern leicht vermeidbar sind.

Nach Schätzungen der WHO könnte vielen der knapp 3 Millionen Menschen, die an Durchfallerkrankungen sterben, mit einer einfachen Rehydrierungsmaßnahme (Salz und Zucker aufgelöst in sauberem Wasser) geholfen werden. Diese Lösung kostet ein paar Cent.

Viel mehr als an sauberem Wasser fehlt es in den betroffenen Ländern an Bildung darüber, wie Durchfall entsteht und wie er bekämpft werden kann. Die Erziehung zu und die Vermeidung von tödlichen Krankheiten wie Malaria, Masern, Durchfall und Atemwegsinfektionen kostet nach Schätzungen um die 300 US-Dollar pro Person.

Andere Quellen berechnen den Wert eines Menschenlebens – also die Kosten einer Hilfsorganisation zur Rettung eines Menschenlebens – zwischen 200 und 2.000 US-Dollar. Zum Vergleich: In den USA werden für Maßnahmen zur Rettung eines Menschenlebens je nach Schätzung zwischen 5 und 8 Millionen US-Dollar veranschlagt.

Auch wenn es für uns unvorstellbar ist, ein Menschenleben mit Geld aufzuwiegen, musste ich in Ländern ohne Krankenversicherung erleben, wie darüber abgewogen werden muss, ob das Ersparte für eine Operation des Onkels oder die Schulgebühr der Tochter genutzt wird.

Die echten Unterschiede zwischen Arm und Reich liegen nicht im absoluten Einkommen. Sie basieren auf den ungleichen Voraussetzungen. Wer in einem Land aufwächst, in dem es keine verlässlichen Institutionen (Schulen, Banken, Polizei) und stabile Infrastruktur (Straßen, Telekommunikation, Strom) gibt, der kann noch so hart arbeiten, wird aber nie die gleichen Bedingungen haben wie ein Westeuropäer.

Zahlreiche Projekte zur Unterstützung von Selbständigen und die Vergabe von Mikrokrediten zeigen, dass schon wenige Dollar ausreichen können, um Menschen in Armut diesen kleinen Vorsprung im täglichen Überlebenskampf zu verschaffen. Winzige Beträge geben Hoffnung. Sie helfen dabei, nicht nur an heute, sondern an auch morgen denken zu können.

 

 

Das Wo: Gutes tun nah oder fern?

Im Judentum sind 10% Tzedakah fest verankert. Auch im Islam gibt es mit dem Zakat eine Pflichtabgabe von 2,5%, die sich nach dem jeweiligen Vermögen berechnet. Jesus predigte Nächstenliebe und aus seinem Mund stammt angeblich die goldene Regel, die Kant später aufgriff: „Behandle andere so, wie du auch selbst behandeln werden möchtest”.

Auch im Buddhismus und Hinduismus sind Spenden für Hilfebedürftige fest verankert. Das große Problem dabei ist, dass sich nur innerhalb der eigenen Community unterstützt wird, also kaum ein Transfer zwischen ärmeren und reicheren Regionen stattfindet.

Die folgenden beiden abstrakten Gedankenexperimente sorgen dafür, unsere Instinkte zu hinterfragen:

  1. Das Kind oder das Auto? Bob steht kurz vor der Pensionierung und steckt sein ganzes Geld in einen wertvollen Oldtimer. Das Auto ist sein Investment für’s Alter und bringt ihm viel Spaß. Eines Tages macht er eine Spritztour, parkt seinen wertvollen Oldtimer am Ende eines alten Bahngleis und klettert auf einen Hügel. Aus der Ferne sieht er, dass ein Zug angefahren kommt. Das Gleis teilt sich hinter einer Weiche und auf dem aktiven Gleis spielt ein kleines Kind. Bob ist zu weit entfernt, um das Kind durch Schreie zu warnen, hat aber die Möglichkeit, das Gleis aus der Ferne umzustellen. Legt er den Hebel um, fährt der Zug in seinen geparkten Oldtimer. Tut er nichts, besteht ein Risiko, dass das Kind den Zug nicht rechtzeitig hört und überfahren wird. Wie würdest du entscheiden? Würde sich etwas ändern, wenn du das Kind kennst? Was, wenn es anstelle des Autos um ein iPhone geht?
  2. Das bekannte Gesicht oder die rationale Statistik? Jetzt stelle dir vor, du stehst an derselben Stelle und schaust wieder auf den heranfahrenden Zug. Auf dem einen Gleis spielt dein Sohn, auf dem anderen Gleis eine Gruppe von 5 Kindern. Wieder hast du mit dem Umlegen der Weiche die Möglichkeit zu entscheiden, auf welchem Gleis der Zug weiterfährt. Haben wir zuerst die Pflicht, unsere eigene Familie und Nachbarn zu beschützen? Was, wenn auf dem anderen Gleis 100 Kinder spielen?

Selbst wenn wir mit dem gleichen Einsatz Dutzende (unbekannte) Menschenleben in der Ferne retten könnten, tendieren wir dazu, das Leben eines Menschen zu retten, den wir kennen. Sind moralisch gesehen nicht alle Menschenleben gleich viel wert?

Wenn wir in den Nachrichten sehen, wie ein Mensch aus unserem Land Opfer eines Gewaltverbrechens wurde oder ein Sturm ein Menschenleben gefordert hat, haben wir eine unglaublich große Sympathie. Tagelang werden Spenden gesammelt und die Angehörigen bedauert. In der einen Woche, in der dieser Schicksalsschlag die Zeitungen füllt, sterben in den ärmsten Ländern der Welt über 100.000 Kinder, weil sie keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und einfacher medizinischer Versorgung haben.

Das andere Extrem ist das philanthropische Fernrohr, das nur in die Ferne sieht, nicht aber den hilfebedürftigen Menschen in greifbarer Nähe. Es ist die brutale Rationalisierung von Menschenleben, ohne dabei auf unsere Instinkte zu hören.

Ein aktuelles Beispiel ist die Flüchtlingskrise. Hier sollten den eigentlichen Ursachen in dem Land entgegengewirkt werden, aus dem Flüchtlinge kommen. Dort können wir am besten mit Geld unterstützen, anstatt uns in lokale Angelegenheiten, die wir nicht durchdringen, einzumischen. Sind Flüchtlinge bereits in Deutschland, dann können wir mit Empathie und unserer Zeit sehr viel mehr helfen als mit Geld.

Nah oder fern – beides ist wichtig. Entscheidender als das Wo ist letztendlich das Warum.

 

 

Das Was: Einsatzzwecke und Hilfsorganisationen

Ich war erschlagen von den Optionen, die es für Hilfsbereite gibt. Es hat mich Stunden gekostet, um zu entscheiden, welche Zwecke ich unterstützen möchte und welche Organisation ich dafür auswähle.

Geldspenden laufen in der Regel unkompliziert ab, was ich von Sach- und Zeitspenden nicht sagen kann. Die Anforderungen für ein Engagement waren zu meiner Überraschung recht hoch. Oft hat es lang gedauert, bis ich den richtigen Ansprechpartner am Telefon hatte oder Antworten auf meine Mails bekam. Das ist verständlich, da die meist freiwilligen Helfer in den Organisationen neben dem sozialen Engagement einen Vollzeitjob haben.

Ein Kurzzeitengagement war in der Regel nicht gewünscht und ein Vorsprechen Pflicht. So waren die Möglichkeiten für mich in diesem einen Monat und ohne festen Wohnsitz ziemlich eingeschränkt. Verstehen kann ich das, denn die Koordination und Einarbeitung von Freiwilligen ist zeitintensiv.

Beim Blutspenden bin ich beispielsweise schon an der Frage „Waren Sie in den letzten 6 Monaten im Ausland?” gescheitert, da der Großteil meiner Aufenthaltsländer des letzten Jahres als malariagefährdet eingestuft wurden.

Meine kurzzeitigen Engagements als Lesepate, in der Bahnhofsmission oder der Flüchtlingshilfe waren emotionale Erfahrungen, die wichtig für mein Bewusstsein waren. Aber so gut sie dem Ego und ein paar Menschen taten, so wenig effektiv waren mein Zeit- und Geldeinsatz. Als jemand, der oft seinen Aufenthaltsort wechselt, ist für mich die Unterstützung mit Geldspenden also die beste Option.

Vom Kampf für mehr Gleichberechtigung über Bildung und Gesundheit hin zur Müllvermeidung gibt es eine riesige Bandbreite von unterstützungswürdigen Zwecken. Ganz egal, ob es am Ende Kinder, Alte, Kranke oder Tiere sind; wichtig ist zuerst, dass wir etwas tun.

Wo soll ich also anfangen? Es gibt gute Übersichtsseiten, auf denen Hilfsorganisationen nach ihrer Transparenz und Effektivität bewertet werden:

  • Qualitätssiegel des deutschen Spendenwesens vom DZI
  • Suche für ehrenamtliche Engagements bei GuteTat.de oder Betterplace
  • Freiwilligenagenturen vor Ort finden bei der bagfa
  • Give Well misst, wie effektiv und transparent verschiedene Hilfsorganisationen arbeiten
  • Schlüsselideen und Hintergründe zur effektiven Philanthropie von Effective Altruism
  • Probleme, die Unterstützung benötigen, in einer gewichteten Reihenfolge von 80,000 Hours
  • Die besten Hilfsorganisationen nach Einsatzzweck auf The Life You Can Save
  • Tierschutzorganisationen finden und unterstützen auf Animal Charity Evaluators

 

Wenn dir genauso wie mir wichtig ist, dass deine Geldspende die größtmögliche Wirkung erzielt, dann schau dich auf den Seiten von Evidence Based Action, Effective Altruism und dem Open Philanthropy Project um. Einen inspirierenden TED-Talk zum Thema Effective Altruism gibt es von Peter Singer.

 

Wie viel spenden?

Philanthropen sind sich einig, dass wir bei steigendem Einkommen proportional mehr abgeben sollten. Wir wissen, dass Glück und Geld ab einem bestimmten Punkt keine Beziehung mehr zueinander haben. Wo 5% bei einem Jahreseinkommen von 20.000 Euro (also 1.000 Euro Spenden) noch weh tun, sind 10.000 Euro bei einem Jahreseinkommen von 200.000 Euro Spenden leichter zu verkraften.

Der erste Schritt für mich war die Verpflichtung, über mein gesamtes Leben hinweg mindestens 10% meines Jahreseinkommens zu spenden (in 2018 ca. 3.000 Euro). Es motiviert mich extrem, in Zukunft mein Einkommen deutlich zu steigern, um die 10% überproportional zu erhöhen.

Vorbilder für Selbstverpflichtungen sind Gruppierungen wie 10over100, die 10% Pledge oder die Giving Pledge bekannter Milliardäre, die sich der lebenslangen Philanthropie verschrieben haben.

 

Ohne Geld Gutes tun

Du kannst dich auf Reisen an lokalen Aktionen wie Beach Cleanups oder dem Gassigehen mit geretteten Straßenhunden beteiligen, dich zuhause in Vereinen engagieren oder einfach Mitgefühl zeigen, indem du bedürftigen Menschen auf der Straße zuhörst. Wie und wo du deine Fähigkeiten einsetzen kannst, erfährst du auf der Seite Youvo.

Mit einer Blutspende beim DRK hilfst du vor allem Menschen mit schweren Verletzungen und Krebserkrankungen. Um Flüchtlinge zu unterstützen, gibt es Ankommenspatenschaften oder Mentorenprogramme für Gründer mit Migrationshintergrund. Für Obdachlose kannst du dich bei der lokalen Bahnhofsmission, den Tafeln oder durch eine Kleiderspende engagieren. Familien entlastest du durch Nachbarschaftshilfe mit Babysitting und anderer Unterstützung. Senioren und Kranke freuen sich über deinen Besuch im Altenheim oder der Pflegestation. Schulkinder sind dankbar für Lesepatenschaften oder Nachhilfestunden.

Wenn du etwas richtig Außergewöhnliches tun möchtest, dann spende deine Haare, deine Suchanfragen oder einen Kaffee. Oder warum nicht einfach Spenden zum Geburtstag schenken lassen, indem du selbst Geld für einen guten Zweck sammelst?

 

 

Das habe ich getan als Philanthrop

Einen Monat lang vollbrachte ich in meinem Selbstversuch jeden Tag eine gute Tat. Manchmal mit recht hohem Aufwand, manchmal durch kleine Gesten der Nächstenliebe.

Ich habe Patenschaften für Kinder, Elefanten und Bäume übernommen. Ich durfte Obdachlose und Flüchtlinge unterstützen, mich an Schulen sowohl mit den ganz Kleinen als auch jungen Erwachsenen beschäftigen und insgesamt knapp 700 Euro für verschiedenste Zwecke spenden.

Generell war ich achtsam im Alltag und habe dort meine Hand ausgestreckt, wo sie benötigt wurde. Das waren Kleinigkeiten wie das Tragen einer schweren Tüte oder das Kaufen einer warmen Mahlzeit für Obdachlose, die die Nacht draußen verbracht haben.

Zu den 26 guten Taten (ja, auch ein Philanthrop braucht seinen Sonntag) im März 2018 gehörten die Folgenden:

  • Patenschaft für die kleine Elefantendame ZURURA bei der David Sheldrick Wildlife Organisation übernommen (50 USD im Jahr für anteilig Nahrung, Land und Pfleger).
  • Freunde finanziell bei ihrer Crowdfundingkampagne unterstützt.
  • Bei der DRK-Blutspende gewesen, wo ich leider aufgrund vergangener Auslandsaufenthalte nicht spenden durfte.
  • Meine eigene Arbeitszeit in Form von 8 Mini Coachings á 15 min angeboten.
  • Den Bau einer Hundehütte für Straßenhunde in Rumänien finanziert (50 Euro für das weltweit größte Tierheim „Die Smeura”, die Tiere aus der Tötungsstation retten).
  • Im Rahmen einer Ankommenspatenschaft der jungen Afghanin Kaniz den Kiez gezeigt und mit ihr Deutsch geübt.
  • Malaria bekämpft mit 20 Mückennetzen, die 40 Menschen für bis zu 3 Jahre schützen können (50 US-Dollar für die Against Malaria Foundation).
  • Das Pflanzen 50 neuer Bäume mit einer Spende an die Initiative Plant-for-the-Planet unterstützt (50 Euro an Plant-for-the-Planet).
  • Mit Schülern einer 9. Klasse gemeinsam über die großen Religionen, das Reisen und den Sinn des Lebens philosophiert (im Rahmen des LER-Unterrichts).
  • Meine Botschaft auf einem Wohnmobil hinterlassen, das in Zukunft um die Welt fahren wird (1 Euro pro Wort für die Spirit Family).
  • Mein altes MacBook an den Menschen verschenkt, der es am dringendsten gebrauchen kann (mehr dazu hier).
  • Der Berliner Stadtmission 50 Euro für den Kältebus gespendet und in der Notübernachtung bei der Essensausgabe geholfen.
  • 50 Euro an Viva con Agua gespendet, um die Menschen in Afrika und Asien zu unterstützen, für die sauberes Wasser aus der Leitung keine Selbstverständlichkeit ist.
  • Im Rahmen einer Lesepatenschaft Zweitklässlern beim Lesen zugehört und selbst vorgelesen.
  • Die Forschungs- und Aufklärungsarbeit der Organisation 80,000 Hours mit 50 US-DOllar unterstützt.
  • Das Schulgeld für den 6-jährigen Waisen Emmanuel aus Kampala übernommen, der sich jetzt darauf freut, im Sommer eingeschult zu werden (180 Euro an die 22Stars Foundation).
  • Dank des großzügigen Angebots von Presentando ein gratis Erklärvideo (im Wert von 1.000 Euro) an eine gemeinnützige Einrichtung vermittelt.
  • Ausländische Korrespondenten unterstützt, die sich für unsere Meinungs- und Redefreiheit einsetzen (20 Euro an Reporter ohne Grenzen).
  • Einen Nachmittag lang gemeinsam mit Kindern Osterhasen und Körbchen gebastelt.
  • Meine eigene Spendenaktion Laptops für die Welt gestartet und mit 100 Euro unterstützt (wir konnten insgesamt 4 neue Chromebooks und 7 gebrauchte Laptops vermitteln).

 

Mein lebenslanges Versprechen

Wusstest du, dass du mit einem Einkommen von mehr als 500 Euro monatlich zu den reichsten 20% der Weltbevölkerung gehörst? Lass dir doch mal ausrechnen, wie reich du im Vergleich mit dem Rest der Menschheit bist.

Es hat mich zutiefst berührt, zu sehen, wie viele Menschen bereits freiwillig unterstützen und einen Großteil ihres Vermögens spenden. Diese Großzügigkeit und das soziale Engagement ließen mich in diesem Monat als Philanthrop demütig werden.

Das gewachsene Bewusstsein darüber, wie privilegiert ich eigentlich bin, hat mich dazu motiviert, im März eine Selbstverpflichtung zu unterzeichnen:

“Ich, Sebastian Kuehn, erkenne an, dass ich einen Teil meines Einkommens dazu verwenden kann, eine beträchtliche Menge Gutes zu tun. Da ich gut genug von einem kleineren Einkommen leben kann, verspreche ich, dass ich von nun an für den Rest meines Lebens mindestens 10% meines Einkommens an die Organisationen geben werde, die es am effektivsten nutzen können, um das Leben anderer jetzt und in den kommenden Jahren zu verbessern. Ich gebe dieses Gelübde aus freien Stücken, offen und aufrichtig ab.”

Über die Seite Effective Altruism sehe ich von nun an, wie viel ich noch spenden sollte, um 10% meines ausgezahlten Gehaltes von 2018, das ca. 30.000 Euro betragen wird, zu erreichen.

10% Pledge

 

 

Mein Fazit nach einem Monat als Philanthrop

Das Warum steht für mich nach diesem Monat außer Frage. Ich habe die große Chance, etwas gegen die Ungleichheiten in der Welt zu tun – ganz egal, wie groß oder klein mein Einfluss dabei ist.

Das Wo ist schon schwieriger zu beantworten. In der Ferne können wir in aller Regel besser mit Geldspenden unterstützen, in der Nachbarschaft hingegen mit Engagements, die unsere Zeit und Empathie benötigen.

Das Was hängt davon ab, welcher Zweck uns wichtig ist. Für mich ist das vor allem Bildung. Bekommen Kinder und junge Erwachsene Zugang zu Wissen eröffnen sich für sie ganz neue Möglichkeiten.

 

Hier noch ein letztes Gedankenexperiment, bevor ich dich gehen lasse:

Stelle dir bitte vor, dass Blutspenden kommerzialisiert werden. Wenn diese Spenden mit einem Preis versehen und frei gehandelt werden könnten, würde das Blut nur bei den Menschen ankommen, die es sich leisten können. Plötzlich hätten Menschenleben auch in Deutschland einen Preis.

Blut ist genauso lebenswichtig wie Nahrung, Schutz und sauberes Wasser. Wenn wir mit Rohstoffen oder Getreide an Aktienmärkten spekulieren, spielen wir mit dem Leben von Menschen. Wenn wir Billigware aus Bangladesch importieren, unterstützen wir damit schlechte Arbeitsbedingungen.

Viel zu oft steht das Gewinnstreben vor einer Ethik, die uns eigentlich allen klar ist, nach der wir aber nicht konsequent handeln: Alle Menschenleben sind gleich viel wert.

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